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Der Esel mit der Glocke


Ein Märchen aus Persien

Einmal ritt ein Mann auf seinem Esel in die Stadt und führte eine Ziege an einem Strick hinter sich her. Am Hals der Ziege bimmelte eine Glocke. ‚Solange ich die Glocke höre‘, dachte der Mann, ‚hat mir keiner die Ziege gestohlen.‘ Da kamen drei Diebe des Weges. Sie sahen den Mann auf dem Esel mit seiner Ziege und der erste Dieb sagte: „Ich werde ihm die Ziege stehlen.“ Der zweite sagte: „Ich stehle den Esel, auf dem er reitet.“ ‒ „Ich werde ihm die Kleider stehlen, die er auf dem Leib trägt!“ sagt der dritte Dieb.
Der erste Dieb schlich sich von hinten an den Mann auf dem Esel heran. Er nahm der Ziege die Glocke vom Hals und band sie am Schwanz des Esels fest. Danach schlich er mit der Ziege davon. Der Mann aber ritt nichtsahnend weiter, denn er hörte ja immerzu die Glocke hinter sich bimmeln.
Conga und Tumba Nun ging der zweite Dieb auf den Mann zu und fragte: „Warum trägt dein Esel eine Glocke am Schwanz und nicht am Hals?“ Der Mann wandte sich um und erschrak. „Meine Ziege ist fort!“ rief er. „Und ich habe ihr doch die Glocke an den Hals gehängt, damit ich höre, ob sie noch da ist. Und jetz ist sie fort! Man hat mir meine Ziege gestohlen!“ ‒ „Deine Ziege ist fort?“ fragte der Dieb. „Eben habe ich einen Mann getroffen, der mit einer Ziege durch die Büsche schlich.“ ‒ „Wohin ist der Dieb denn geschlichen?“ rief der Mann. „Dorthin!“ erwiderte der Dieb und wies in die falsche Richtung. Der Ziegenbesitzer sagte: „Ich will dem Dieb schnell nachlaufen.“ Und er bat den zweiten Dieb, inzwischen auf den Esel aufzupassen. „Nur keine Sorge!“ sagte der Dieb. „Ich will auf deinen Esel gewiß gut aufpassen!“ Kaum war der Mann in den Büschen verschwunden, schwang der Dieb sich auf den Esel und ritt davon.
Der Besitzer des Esels kam bald zurück, ohne Ziege, und entdeckte, dass nun auch sein Esel weg war. Er ging weiter bis in die Stadt, denn er dachte: ‚Wahrscheinlich sind die Diebe in die Stadt gelaufen.‘ In der Stadt rannte er dann auf und ab und suchte seine Tiere. Er fragte alle Leute, ob sie nicht eine Ziege gesehen hätten, die keine Glocke um den Hals trug, oder einen Mann auf einem Esel, dem eine Glocke am Schwanz bimmelte.
Schließlich traf der Mann den dritten Dieb. Der saß am Rande eines Brunnens und weinte. „Mein Kästchen mit Edelsteinen ist mir in diesen Brunnen gefallen“, klagte er. „Ich habe Angst, hinunterzukletttern und es heraufzuholen. Kannst Du mir helfen? Ich will dir die Hälfte des Schatzes geben!“ ‒ ‚Das ist ein glücklicher Zufall‘, dachte der Mann. ‚Um die Hälfte des Schatzes kann ich mir eine neue Ziege kaufen, sogar eine jüngere, und einen neuen Esel und eine neue Glocke dazu, und dann bleibt mir noch ein schöner Teil übrig!‘ ‒ „Ich will es versuchen“, sagte er zu dem Dieb, und zog sein Gewand aus, damit es im Brunnen nicht naß würde. „Ich bitte dich nur, gib auf meine Kleider acht, bis ich herauf komme!“ Der Dieb versprach das, aber kaum dass der Mann im Brunnen verschwunden war, ging er mit den Kleidern davon.
Der Mann aber tauchte tief in den Brunnen hinab. Er wühlte im Schlamm und drehte jeden Stein um, aber er konnte kein Kästchen finden. Als er endlich wieder herauf kam, konnte er auch den Dieb mit seinen Kleidern nicht finden. Da lief er ohne Kleider durch die ganze Stadt und drehte sich fortwährend um sich selber. Die Leute fragten ihn, ob er verrückt geworden sei. „Im Gegenteil“, rief der Mann. „Ich bin endlich gescheit geworden. Man hat mir meine Ziege gestohlen, meinen Esel und meine Kleider und jetzt muss ich mich immerzu umsehen, ob nicht ich selber vielleicht auch schon gestohlen bin!“